Kerkrade ist römischer, als man denkt
Autor: Harry Lindelauf
Fotografie: Rijksmuseum van Oudheden, Rijksdienst Cultureel Erfgoed, Gerard Tichelman
Kerkrade ist bekannt für den Bergbau, die Abtei Rolduc, den Fußball und den Weltmusikwettbewerb. Weniger bekannt ist die reiche römische Vergangenheit der Stadt, mit einer Reihe von villae rusticae (Gutshöfen), Meilensteinen, Heerstraßen und einem Fund, der in den Niederlanden einzigartig ist.
Beginnen wir mit diesem einzigartigen, kaum bekannten Fund: dem Bärchen von Kerkrade. Archäologen entdeckten es 1997 in der Nähe des McDonald’s im Gewerbegebiet zwischen Euregioweg, Winckelen und Heerlenersteenweg. Die Archäologen fanden außerdem Hinweise darauf, dass dort zwischen 150 und 250 n. Chr. ein römischer Gutshof mit mehreren Nebengebäuden gestanden hat. Zum Vorschein kamen vier tiefe Brunnen, mehrere Gruben mit Brandspuren und größere Gruben, aus denen möglicherweise Lehm gewonnen wurde.
Besonders bemerkenswert ist die sogenannte Opfergrube, eine fast quadratische Grube von 2 × 1,5 Metern, die bei der Ausgrabung etwa 1 Meter tief war. In der Grube wurden neun fast vollständig erhaltene Tongefäße gefunden – und eine Terrakottafigur eines Bären. Diese Figuren wurden mithilfe von Formen in Serie in Köln hergestellt, doch in den Niederlanden wurde bisher nur eine einzige gefunden.
Foto: Ausgrabung Winckelen, Kerkrade, 1997
Warum ein Opfer?
Die Figur des Bären verweist auf die Bärengöttin Artio, die von den Römern aus der keltischen Religion übernommen wurde. Die Frage lautet: Warum wurde hier in Kerkrade der Bärengöttin geopfert? Die naheliegende Antwort: um ihre Gunst – und damit den Schutz ihrer Schützlinge – zu gewinnen. Möglicherweise hatten die Bewohner des villa rustica-Gutes Probleme mit Bären.
Alle Funde an dieser Stelle weisen darauf hin, dass sich hier einst ein römischer Villenkomplex befand. Leider wurde das Hauptgebäude (noch) nicht entdeckt.
Foto: Die „Ausbeute“ der Opfergrube: Tonkrüge, Schalen und kleine Töpfe. Links im Vordergrund das Bärchen.
Photo : La « récolte » de la fosse d’offrande : cruches, bols et petits pots en céramique. Au premier plan à gauche, le petit ours.
Die am besten erforschte Villa
Das gilt jedoch für den großen Gutshof, der in der Holzkuil gefunden wurde. Auf diesem 250 × 160 Meter großen Gelände, nahe dem Weiler De Vink und fast am Rand des Wormtals, befindet sich die am besten erforschte – weil vollständig ausgegrabene – römische Villa der Niederlande. Die ersten der 25 Gebäude wurden um das Jahr 70 errichtet, gefolgt von Erweiterungen und Erneuerungen bis etwa 270. Wahrscheinlich bedeutete ein Einfall feindlicher Stämme das Ende der Villa.
In ihrer Blütezeit war die Villa Holzkuil ein klassischer römischer Herrenhof mit einem steinernen Hauptgebäude, einem Badehaus und zahlreichen Nebengebäuden. Auf dem Gelände befanden sich außerdem zwei Brunnen und zwei Teiche, alles von Gräben und Zäunen umschlossen. Bemerkenswert ist, dass das Badehaus und ein kleiner Keller gut erhalten geblieben sind. Funde zeigen, dass die Besitzer des Hofes wohlhabend waren: luxuriöse Keramik (terra sigillata), Gewandspangen aus Mainz und Schmuckstücke wurden gefunden.
Nach den zehnmonatigen Ausgrabungen wurden alle Überreste wieder mit Erde bedeckt. Der Standort ist heute mit einem Archeopunkt markiert.
Foto: Die Holzkuil in Kerkrade
Vom Schouffertsbos bis Vrouwezijp
In der gesamten Lösszone Südlimburgs wurden bisher rund 70 römische Gutshöfe entdeckt. Auch Kerkrade hat daran seinen Anteil, denn neben der Villa Holzkuil sind folgende Villen bekannt:
- Krichelstraat, Spekholzerheide – ebenfalls einzigartig in den Niederlanden: Hier kann man die Mauerreste des Hauptgebäudes besichtigen. Es war 51,50 Meter lang und 21,80 Meter breit und verfügte unter anderem über eine Wohnküche, Wohn- und Arbeitsräume sowie Ställe.
- Klein Graverstraat–Romeinenstraat.
- Bei dem Bauernhof Overste Hof in Strijthagen.
- Auf dem Industriegebiet De Beitel wurde eine Getreidescheune entdeckt, die zu einer Villa gehörte; die Reste der Villa liegen unter der N281.
Im Boijensbos in Eygelshoven liegen die Überreste der Villa Schouffertsbos verborgen. - Und wie die Villa Holzkuil, am Rand des Wormtals bei Rolduc: die Villareste Vrouwezijp.
Meilensteine, Urnen und Heerstraßen
Damit ist die römische Geschichte in Kerkrade noch nicht zu Ende. Die heutige Stadt liegt zwischen der Via Belgica, die durch oder direkt an Eygelshoven vorbeiführte, und der Via Traiana. Folgendes wurde außerdem entdeckt:
- Reste von zwei Meilensteinen in der Mauer der alten Kirche Johannes der Täufer (Johannes de Doper) in Eygelshoven.
- Gleich um die Ecke der Kirche: Mauerreste eines Gebäudes und eines Badehauses an der Schovetweg.
- Das Straßenpflaster der Via Traiana, der römischen Straße, die Trier über Aachen und Heerlen mit Xanten verband; gefunden in der Nähe der Eisenbahnbrücke Locht.
- Ein Gräberfeld auf dem Gelände des ehemaligen Braunkohletagebaus Herman in Eygelshoven, unweit der Wohnreste an der Schovetweg. Bemerkenswert: Nach fast 2 000 Jahren ist das Gelände erneut ein (Natur-)Friedhof.
- Ein Gräberfeld im Kolverenbos zwischen Eygelshoven und Rimburg.
Foto: Der ehemalige Braunkohletagebau Herman in Eygelshoven, wo ein römisches Urnenfeld entdeckt wurde.