Das Aquädukt von Tongern war eine riesige Aufgabe für das römische Heer

Autor: Harry Lindelauf
Fotografie: Gallo-Romeins Museum, Agentschap Onroerend Erfgoed Vlaanderen

Das Aquädukt von Tongern war eine riesige Aufgabe für das römische Heer

Ein langer Hügel, ein Seedeich oder vielleicht ein Verteidigungswall? Dreimal nein, denn dies ist ein Aquädukt. Überraschend, denn römische Aquädukte erwartet man in Südeuropa, doch dieses eindrucksvolle Exemplar liegt in Tongern. Nach dem Artikel über das Kölner Aquädukt ist dies der zweite Teil einer Reihe über Aquädukte entlang der Via Belgica zwischen Rhein und Jeker.

Auch in Tongern zeigt sich wieder, dass die Römer keine Angst vor riesigen Bauprojekten hatten. Hier, südlich der Stadt, errichteten sie einen Erdwall.
Er ist stolze 4 Kilometer lang, bis zu 8,5 Meter hoch und an der Basis 30 bis 50 Meter breit. Die Menge an Erde, vor allem Lehm, die von Hand bewegt werden musste, ist immens. Man schätzt, dass 817.000 Kubikmeter Lehm ausgehoben und aufgeschüttet wurden. Die Arbeit wurde irgendwann zwischen den Jahren 69 und 200 n. Chr. von Vermessern, Ingenieuren und Soldaten des Heeres ausgeführt. Bemerkenswert ist, wie geschickt die römischen Baumeister das Relief der Landschaft nutzten. Wo das nicht möglich war, schufen sie mit großem Aufwand eine Lösung, um das Wasser mit einem konstanten Gefälle von 1,3 % nach Tongern zu leiten.

Foto: Tongern spielte eine wichtige Rolle beim Aufstieg des Christentums. Dieser silberne Ring mit einem Christogramm aus dem 4. Jahrhundert wurde auf einem Friedhof in Tongern gefunden. Sammlung des Gallo-Römischen Museums.

Militärischer Vorteil

All diese Mühe wurde unternommen, um Wasser von der Quelle – und somit sauberes Wasser – nach Tongern zu bringen. Die Stadt ist seit ihrer Gründung schnell gewachsen. Der Standort des römischen Tongern wurde klug gewählt: Ein rechteckiger Straßenplan wurde auf einem Plateau entlang der strategisch wichtigen Straße von Köln über Bavay nach Boulogne-sur-Mer angelegt. Dieser Straßenplan wurde später fortgeführt, als die Garnison zu einer Stadt auf dem Tongerner Plateau anwuchs, und der kleine Fluss Jeker lag nah genug, um den Transport von Waren per Boot bis zum Hafen des römischen Maastricht zu ermöglichen.

Foto: Luftaufnahmen und Höhenmessungen ergeben bislang noch kein vollständiges Bild der Strecke.

Wichtige Stadt

Tongern – Atuatuca Tungrorum – entwickelte sich zu einer wichtigen Stadt, unter anderem, weil sie ein Verkehrsknotenpunkt auf den Straßen nach Bavay, Maastricht mit seiner Maasbrücke, Köln, Trier, Reims und Nijmegen war. Der fruchtbare Boden rund um die Stadt trug zum Wachstum bei, sodass um das Jahr 50 die Straßen gepflastert werden konnten. Später folgten der Bau eines Tempels, eines großen Getreidespeichers, eines Forums und eines Badehauses. Um das Jahr 180 wurde die Siedlung dank einer Stadtmauer von über 4 Kilometern Länge noch bedeutender – ebenfalls ein Riesenprojekt. Schließlich wurde Tongern die Hauptstadt des römischen Verwaltungsbezirks und spielte um 330 eine wichtige Rolle beim Aufstieg des Christentums. Das ist noch heute bekannt dank Servatius, dem katholischen Bischof, der Tongern gegen Maastricht eintauschte.

Foto: Im römischen Tongern wurde nicht nur mit Handel Geld verdient.
Die Stadt hatte viele Werkstätten, unter anderem in Berg, wo Münzen geprägt wurden. Auch Blei wurde verarbeitet, wie dieser Barren mit einer Inschrift des Tiberius zeigt. Der Barren wurde in Tongern gefunden.
Sammlung des Gallo-Römischen Museums.

Die Jeker als Quelle?

Auch Luftbilder und Höhenmessungen ergeben bisher noch kein vollständiges Bild der Strecke. Daher ist auch nicht bekannt, wo das Aquädukt sein Wasser herbezog. Mögliche Quellen sind die Meulenbeek bei Corswarem, das Figgelbroek in Rukkelingen-Loon, aber auch die Quellen der Jeker.

Was wir ebenfalls nicht wissen: Wie wurde der Wasserkanał oben auf dem Erdwall konstruiert? Eine unklare Untersuchung aus dem Jahr 1950 berichtet von Steinen in zwei Schichten im Wall. Das könnte – mit Betonung auf „könnte“ – auf einen gemauerten Kanal hinweisen. Die Römer könnten auch Bleirohre oder Tonröhren verwendet haben.
Sogar ein hölzerner Kanal ist möglich. Doch von einer Wasserleitung wurde bisher nichts weiter gefunden. Was bleibt, sind die geheimnisvollen Steine und unsere Fantasie.

Mit Dank an Dirk Pauwels, Stadtarchäologe von Tongern.

Foto: Dieses kleine Ölfläschchen in Form einer nubischen Büste beweist den Reichtum im römischen Tongern und seiner Umgebung. Sammlung Gallo-Römisches Museum Tongern.

Foto: Erstaunlich, wie die Römer Trinkwasser bis in die Häuser brachten und kontrollierten. Dieser bronzene Wasserhahn wurde bei Nijmegen gefunden. Foto: Rijksmuseum van Oudheden.

Auch lesen

Römische Renaissance in Maastricht

Wenn Geschichte zum Abenteuer wird