Die römische Küche: aufregend, aber nicht ungewöhnlich
Autor: Leonie Kohl
Fotografie: Philip Driessen

Flamingozungen, geröstete Mäuse und gebratener Pfau. Jasper Habets, Eigentümer der Villa de Proosdij in Klimmen, hat eine Leidenschaft für die römische Küche. Doch gerade diese exotischen Delikatessen gehörten hier nicht dazu – jedenfalls nicht für den „normalen“ Römer. „Nur Kaiser und andere Hochgestellte aßen solche Gerichte. Ich möchte den Menschen die wirkliche römische Küche wieder näherbringen. Sie ist kulinarisch durchaus spannend, aber sie hat nichts Fremdes an sich.“

Vor zweitausend Jahren besetzten die Römer dieses Gebiet, Süd-Limburg. Sie bauten Straßen, Villen und Badehäuser und brachten ihre eigenen Essgewohnheiten mit. Für die einheimische Bevölkerung änderte sich alles. Durch die Tiere und Pflanzen, die die Römer mitbrachten, entstanden plötzlich neue Geschmacksrichtungen. Aromen, die wir heute ganz normal finden, waren damals brandneu. Jasper würde nur zu gern eine Zeitreise machen: „Die Römerzeit war kulinarisch gesehen äußerst spannend. Die fortschrittliche Infrastruktur im Römischen Reich machte es erstmals möglich, Vieh, Lebensmittel und Saatgut über große Entfernungen zu transportieren. Die Via Belgica durchzog das spätere Süd-Limburg und brachte auch hier neue kulinarische Einflüsse.“
Die Römer führten viele unserer heutigen Grundnahrungsmittel ein: Schweine, Hühner, Kirschen, Pflaumen, Trauben und auch deren Nebenprodukte wie Eier und Wein. „Die Menschen in dieser Region aßen sehr naturbelassen – Gerichte, die wir heute völlig normal finden“, erklärt Jasper. „Aus Milch und Kräutern machten sie schon damals einen Frischkäse für den Tag, den wir heute als Hangop bezeichnen würden. Aus Dinkelkörnern kochte man einen Brei, der mit Honig oder Obst gegessen wurde – ein klassisches ‚europäisches‘ Getreidefrühstück. Aus Dinkel wurde auch reichlich Brot gebacken. Man aß Linsen und verschiedene Kohlsorten. Fleisch war ein Luxus. Hasen und Hirsche wurden im Wald gejagt, aber eine Kuh oder ein Huhn schlachtete man erst, wenn sie keine Milch oder Eier mehr gaben.“
Kräuter: Salz und Pfeffer der damaligen Zeit
Kennzeichnend für die römische Küche ist der Gebrauch von Kräutern – etwas, das zuvor kaum üblich war. Die Römer brachten eine Vielzahl von Kräutern mit, die wir bis heute lieben. „Rosmarin, Salbei, Lavendel, Thymian und Liebstöckel waren das Salz und Pfeffer der römischen Küche. Salz und Pfeffer waren zwar schon bekannt, aber für das einfache Volk noch nicht erschwinglich. Kräuter hingegen wuchsen einfach in den eigenen Gärten.“ Kräuter wurden verwendet, um Speisen mehr Geschmack zu verleihen, aber auch, um unerwünschte Aromen zu überdecken. Lebensmittel, die wir heute längst wegwerfen würden, weil sie ‚abgelaufen‘ sind, wurden in der Römerzeit noch mit reichlich Kräutern zubereitet. Besonders Liebstöckel war beliebt – ein Kraut, das wir heute als Maggikraut kennen. Manche Vorlieben bleiben eben …
„Kulinarisch war die Römerzeit äußerst aufregend. Über die Via Belgica gelangten neue Aromen in das heutige Süd-Limburg.“— Jasper Habets
Wie es kommt, dass wir noch relativ viel über die römische Küche wissen, ist eine besondere Geschichte. „Das Lebenswerk eines römischen Kochbuchautors ist auf bewundernswerte Weise erhalten geblieben. Der wohlhabende Römer Apicius widmete sein Leben der Beschreibung römischer Rezepte aus dem gesamten Reich. Seine gastronomische Enzyklopädie bestand aus zehn Bänden und war aufgebaut wie die Kochbücher deiner Großmutter. Es gab ein Buch voller Geflügelrezepte, eines mit Saucen und so weiter. Mengenangaben standen nicht dabei – alles geschah nach Gefühl. Das macht die Interpretation der römischen Küche so spannend.“

Römisches Essen, römisches Gärtnern
Jaspers Liebe zur römischen Küche endet nicht in der Küche. Der Garten der Villa de Proosdij – oder besser gesagt der Hortus – orientiert sich detailgetreu an der Gestaltung römischer Gärten. Für Gartenliebhaber gibt es dekorative Elemente wie einen römischen Rosengarten, ein Amphitheater, eine Zypressenallee und eine originalgetreue Nachbildung des Gartens von Plinius dem Älteren. Dieser Römer, Verfasser der allerersten klassischen Enzyklopädie, schrieb gerne über seinen Garten. Aus diesen Briefen stammt ein Großteil der Informationen, die Jasper für seine Rekonstruktion genutzt hat. Nicht nur Gartenfreunde, sondern auch Liebhaber von (römischem) Essen können sehen, wie alles wächst und gedeiht. Im Hortus der Villa de Proosdij stehen Bienenkästen, deren Bienen Honig auf dem Anwesen und in der Umgebung sammeln. Es gibt einen Kräutergarten und sogar einen „Garten des Todes“ mit allerlei giftigen Pflanzen. Der abfallende Hang bildet die perfekte Kulisse für einen römischen Weinberg. „Wir haben hier fünfhundert Rebstöcke einer alten Traubensorte, der Johannitertraube. Aus diesen Trauben wird auf traditionelle Weise Wein hergestellt. Dies steht in einer jahrhundertealten Tradition: Schon in der ersten Erwähnung des Anwesens, einer Schenkungsurkunde der französischen Königin Gerberga aus dem Jahr 968 n. Chr., ist von Weinbergen die Rede.“ Neben Honig, Kräutern und Wein bringt das Anwesen auch Obst hervor – an Hochstammbäumen, einer Anbaumethode, die die Römer hier eingeführt haben.
„Hier wachsen fünfhundert Rebstöcke einer historischen Rebsorte: der Johanniter.“— Jasper Habets
Das Huhn mit den fünf Zehen
Ein anderes, ganz besonderes Stück römischen Erbes läuft hier munter herum. Die Römer brachten das Huhn in das heutige Süd-Limburg. Heute ist es kaum vorstellbar, aber zuvor standen Hühnereier und Hühnerfleisch nicht auf dem Speiseplan. Jasper: „In diesen zweitausend Jahren ist etwas Merkwürdiges mit unseren Hühnern passiert. Im Laufe der Zeit hat das Huhn nämlich eine Zehe verloren! Alle unsere modernen Hühner haben vier Zehen – und was stellt sich heraus? Das Urhuhn aus der Römerzeit hatte fünf. Da die Römer alles so genau dokumentierten, wissen wir genau, welche Hühnerrasse sie hielten. Nach einer langen Suche habe ich dieses Huhn wiedergefunden, und nun scharrt eine kleine römische Hühnerfamilie in unserem Garten.“
Das Kochbuch des Apicius
Marcus Gavius Apicius verfasste das einzige aus der Antike überlieferte Kochbuch: De re coquinaria, besser bekannt als das Kochbuch des Apicius. Er war ein steinreicher Römer, der sein Leben mit dem Genuss kostspieliger Mahlzeiten und der Ausrichtung prunkvoller Feste füllte. Als er sein Vermögen verschleudert hatte, nahm er Gift und setzte damit seinem Leben ein Ende.